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„Der Input der Nanotechnologie wird zu häufig übersehen“

Prof. Dr. Volker Altstadt resümiert seine Erkenntnisse der „PPS-29″ für die Zeitschrift K-PROFI

 

Foto: Daniel Raps/Universität Bayreuth

Mit der 29. Internationalen Konferenz der Polymer Processing Society (PPS) machte Mitte Juli eine weltweit renommierte, wissenschaftliche Fachtagung der Polymerforschung in Nürnberg Station. Prof. Dr. Volker Altstädt, Inhaber des Lehrstuhls für Polymere Werkstoffe an der Universi­tät Bayreuth und Chairman der „PPS-29″, fasst seine Erkenntnisse des Expertentref­fens für Kunststoffverarbeiter zusammen.

Mehr als 700 Ingenieure und Wissen­schaftler aus allen Erdteilen tauschten sich eine Woche lang über aktuelle anwendungsbezogene und wissenschaftli­che Fragestellungen aus Kunststofftech­nik und Makromolekülforschung aus. Zahlreiche Plenarvorträge, acht Sonder­symposien und Hunderte von Fachvorträ­gen behandelten Trends über die gesam­te Bandbreite der Kunststofftechnik – von der Materialentwicklung für verschiedens­te Polymerklassen bis zu allen Verfahren der Kunststoffverarbeitung. Auch biobasier­te Kunststoffe, Nanokomposite und nanostrukturierte Polymeren waren Gegenstand der Sessions und Posterausstellungen.

K-PROFI: Herr Professor Altstädt, wie zufrieden sind Sie mit der Tagung?

Prof. Dr. Volker Altstädt: Mit der PPS-29 in Deutschland haben wir es geschafft, auch in der Industrie eine große Aufmerksam­keit zu erzeugen – und von dort nicht nur Teilnehmer zu gewinnen, sondern auch Re­ferenten. Die praxisnahen Vorträge und ei­ne gute Mischung aus Wissenschaft und Industrie war ein guter Stimulus für Diskus­sionen. Große Delegationen aus der Roh­stoffindustrie waren im Auditorium, und mit Vorträgen von Haitian, Engel und an­deren verzeichneten wir auch einen aus­gezeichneten Support aus dem Maschi­nenbau. Zudem hat der Wissenschaftliche Arbeitskreis Kunststofftechnik (WAK) über die Kontakte seiner Mitglieder wichtige Re­ferenten gewonnen.

Viele Resultate der Grundlagenforschung und Anwendungsentwicklung brauchen viele Jahre bis zur Implementation in die industrielle Produktion. Welche Erkennt­nisse gibt es für Kunststoffverarbeiter?

Der große Input der Nanotechnologie auf die Kunststoffverarbeitung wird häufig übersehen, zumal kein Anbieter mehr offen „Nano“ auf seine Produkte schreibt …

… wegen Vorbehalten durch die öffentliche Diskussion…

… genau das könnte die Kunststoffverar­beiter in die Irre leiten. Nach wie vor beru­hen viele Verbesserungen der Materialien auf Erkenntnissen aus der Nanotechnolo­gie. Ein großer Teil der Tagung beschäftig­te sich damit. Die Nanotechnologie bleibt hochinteressant für die Kunststoffverar­beitung. Im Auge behalten müssen die Verarbeiter auch die Biokunststoffe, seien es biobasierte oder bioabbaubare.

Welchen der vorgestellten Entwicklun­gen oder Trends messen Sie ein beson­deres Potenzial für die Kunststoffverar­beitung bei?

Die Nanotechnologie beeinflusst das rheologische Verhalten der Kunststoffe und er­zeugt bestimmte Eigenschaften. Auch die Prognose der Qualität, Materialdaten für hohe Beanspruchungen und vertiefte Kenntnisse über das Materialverhalten sind weit wichtiger geworden als früher. Insge­samt sehen wir die Vorteile immer deutli­cher, die auf der Modellierung beruhen. Es wird heute sehr viel intensiver model­liert als noch vor wenigen Jahren – und das nicht nur bei der einfachen Füllung einer Kavität, sondern auch bei der Gesamtbe­trachtung eines Prozesses. Professor Georg Steinbichler. von Engel hat das in seinem Vortrag „Fortschritte beim Spritzgießen durch die Simulation, neue Messmetho­den und Prozesstechnologie“ gut gezeigt -in einer Technologie, von der alle meinen, man wisse längst alles.

Kollegen aus Kanada berichten uns, dass man dort die Forschung in der klassi­schen Kunststofftechnik als abgeschlos­sen betrachtet und weitgehend aufgibt. In Deutschland ist die Forschung der Univer­sitäten in der Kvmststofftechnik sehr eng verflochten mit der Industrie. Das ist ein klarer Vorteil gegenüber anderen Ländern, und das ist in der Tagung greifbar gewor­den. Die Erkenntnisse aus Forschung, Si­mulation und Prozesstechnik führen dann tatsächlich auch zu Fortschritten in der in­dustriellen Praxis.

Mit dem Blick auf die internationale Prä­senz in Nürnberg: Forscher aus welchen Regionen haben sich Ihrer Ansicht nach als ausgesprochen innovativ erwiesen oder besonders originell gezeigt?

Die Japaner haben nach den Deutschen die zweitgrößte Teilnehmernation gestellt, auch die Brasilianer waren sehr stark vertreten. Wir hatten 90 Kurzdarstellungen aus dem Iran, aber wegen Problemen, Visa zu bekom­men, waren weit weniger Forscher von dort vor Ort als erhofft. Im Iran wird eine äußerst qualifizierte Forschung betrieben.

Welche Erkenntnis sollten die Kunst­stoffverarbeiter im deutschsprachigen Raum aus Ihrer Sicht schon heute ver­innerlichen, auch wenn die Umsetzung in den Alltag vielleicht noch Jahre dauern wird?

Zum einen waren für mich die Vorträge zum Additive Manufacturing ein wichti­ges Highlight. Die generativen Fertigungs­verfahren werden immer konkurrenzfä­higer. Im Moment sind sie nur geeignet, einen Demonstrator herzustellen. Aber es ist sichtbar geworden, zum Beispiel im Plenarvortag von Dr. M. Schmidt, dass mo­derne selektive Lasertechnologien die Herstellzeiten deutlich verkürzen kön­nen und eine parallele Produktion meh­rere Teile ermöglichen. Das wird den klas­sischen Spritzguss in hohen Stückzahlen nicht substituieren können, aber in Kon­kurrenz treten mit Gießtechnologien und anderen Verfahren zur Kleinserienpro­duktion. Natürlich bleibt da immer noch ein Unterschied zwischen den industri­ell tauglichen Verfahren und dem, was ein Privatmann daheim auf seinem 3D-Drucker herstellt. Zum anderen messe ich den Polymer Nanostructures und Nanocomposi-tes gute Chancen zu. Das ist zwar ein brei­tes Feld, auf dem sich nicht nur für die klas­sische Kunststofftechnik, sondern auch für die Elektronik einiges an Potenzial abzeichnet: Schauen Sie sich Leiterplatten an. Wir haben zum Beispiel eine kontinuierlich extrudierbare Leiterplatte entwickelt – mit Polyetherimid (PEI) als Substrat für die Lei­terplatte. Mit den zur Zeit in der Entwick­lung befindlichen Tinten können Sie die Leiterplatte online mit leitfähigen Bahnen bedrucken. Da sparen Sie 18 Prozessschrit­te gegenüber den klassischen Leiterplatten. Mit dem neuen Konzept sind diese Substra­te sogar multilayerfähig. Auch hier ist die Nanotechnologie ein wichtiger Schlüssel, weil zum Beispiel die Drucktinten für die Leiterbahnen Graphen enthalten.

Ihre überraschendste Erkenntnis der Konferenz?

Organisatorisch, dass es uns als in dieser Konferenzgröße unerfahrenem Institut mit eüiem sehr.motivierten Team gelungen ist, aus dem Stand eine so große, einwöchi­ge internationale Tagung mit über 700 Teil­nehmern aus dem Boden zu stampfen.

Inhaltlich beeindruckt hat mich der Beitrag von Professor Jingshen Wu von der Hong­kong University of Science and Technology zum Potenzial von in Baustoffen integrier­ten, verkapselten latenten Wärmespeicher­materialien.

Die Idee und die Basistechnologie gibt es doch schon länger.

Ja, aber in China herrschen andere klimati­sche Verhältnisse als hier, es ist viel feuch­ter und die Bedingungen sind insgesamt anders als bei uns. Die intensive Beschäfti­gung dort kann der Anwendung von Mate­rialien zur latenten Wärmespeicherung und ihrer Implementation in die Praxis einen ganz neuen Impact geben.

Herr Professor Altstädt, vielen Dank für Ihr Resümee.

www.pps-29.com
www.polymer-engineering.de

Die Fragen stellte K-PROFI-Chefredakteur Dipl.-Ing. Markus Lüling.

Quelle: K-PROFI, Ausgabe 9/2013, S. 12-14 (PDF, 311 KB)

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