Prof. Dr. Volker Altstadt resümiert seine Erkenntnisse der „PPS-29″ für die Zeitschrift K-PROFI
Mit der 29. Internationalen Konferenz der Polymer Processing Society (PPS) machte Mitte Juli eine weltweit renommierte, wissenschaftliche Fachtagung der Polymerforschung in Nürnberg Station. Prof. Dr. Volker Altstädt, Inhaber des Lehrstuhls für Polymere Werkstoffe an der Universität Bayreuth und Chairman der „PPS-29″, fasst seine Erkenntnisse des Expertentreffens für Kunststoffverarbeiter zusammen.
Mehr als 700 Ingenieure und Wissenschaftler aus allen Erdteilen tauschten sich eine Woche lang über aktuelle anwendungsbezogene und wissenschaftliche Fragestellungen aus Kunststofftechnik und Makromolekülforschung aus. Zahlreiche Plenarvorträge, acht Sondersymposien und Hunderte von Fachvorträgen behandelten Trends über die gesamte Bandbreite der Kunststofftechnik – von der Materialentwicklung für verschiedenste Polymerklassen bis zu allen Verfahren der Kunststoffverarbeitung. Auch biobasierte Kunststoffe, Nanokomposite und nanostrukturierte Polymeren waren Gegenstand der Sessions und Posterausstellungen.
K-PROFI: Herr Professor Altstädt, wie zufrieden sind Sie mit der Tagung?
Prof. Dr. Volker Altstädt: Mit der PPS-29 in Deutschland haben wir es geschafft, auch in der Industrie eine große Aufmerksamkeit zu erzeugen – und von dort nicht nur Teilnehmer zu gewinnen, sondern auch Referenten. Die praxisnahen Vorträge und eine gute Mischung aus Wissenschaft und Industrie war ein guter Stimulus für Diskussionen. Große Delegationen aus der Rohstoffindustrie waren im Auditorium, und mit Vorträgen von Haitian, Engel und anderen verzeichneten wir auch einen ausgezeichneten Support aus dem Maschinenbau. Zudem hat der Wissenschaftliche Arbeitskreis Kunststofftechnik (WAK) über die Kontakte seiner Mitglieder wichtige Referenten gewonnen.
Viele Resultate der Grundlagenforschung und Anwendungsentwicklung brauchen viele Jahre bis zur Implementation in die industrielle Produktion. Welche Erkenntnisse gibt es für Kunststoffverarbeiter?
Der große Input der Nanotechnologie auf die Kunststoffverarbeitung wird häufig übersehen, zumal kein Anbieter mehr offen „Nano“ auf seine Produkte schreibt …
… wegen Vorbehalten durch die öffentliche Diskussion…
… genau das könnte die Kunststoffverarbeiter in die Irre leiten. Nach wie vor beruhen viele Verbesserungen der Materialien auf Erkenntnissen aus der Nanotechnologie. Ein großer Teil der Tagung beschäftigte sich damit. Die Nanotechnologie bleibt hochinteressant für die Kunststoffverarbeitung. Im Auge behalten müssen die Verarbeiter auch die Biokunststoffe, seien es biobasierte oder bioabbaubare.
Welchen der vorgestellten Entwicklungen oder Trends messen Sie ein besonderes Potenzial für die Kunststoffverarbeitung bei?
Die Nanotechnologie beeinflusst das rheologische Verhalten der Kunststoffe und erzeugt bestimmte Eigenschaften. Auch die Prognose der Qualität, Materialdaten für hohe Beanspruchungen und vertiefte Kenntnisse über das Materialverhalten sind weit wichtiger geworden als früher. Insgesamt sehen wir die Vorteile immer deutlicher, die auf der Modellierung beruhen. Es wird heute sehr viel intensiver modelliert als noch vor wenigen Jahren – und das nicht nur bei der einfachen Füllung einer Kavität, sondern auch bei der Gesamtbetrachtung eines Prozesses. Professor Georg Steinbichler. von Engel hat das in seinem Vortrag „Fortschritte beim Spritzgießen durch die Simulation, neue Messmethoden und Prozesstechnologie“ gut gezeigt -in einer Technologie, von der alle meinen, man wisse längst alles.
Kollegen aus Kanada berichten uns, dass man dort die Forschung in der klassischen Kunststofftechnik als abgeschlossen betrachtet und weitgehend aufgibt. In Deutschland ist die Forschung der Universitäten in der Kvmststofftechnik sehr eng verflochten mit der Industrie. Das ist ein klarer Vorteil gegenüber anderen Ländern, und das ist in der Tagung greifbar geworden. Die Erkenntnisse aus Forschung, Simulation und Prozesstechnik führen dann tatsächlich auch zu Fortschritten in der industriellen Praxis.
Mit dem Blick auf die internationale Präsenz in Nürnberg: Forscher aus welchen Regionen haben sich Ihrer Ansicht nach als ausgesprochen innovativ erwiesen oder besonders originell gezeigt?
Die Japaner haben nach den Deutschen die zweitgrößte Teilnehmernation gestellt, auch die Brasilianer waren sehr stark vertreten. Wir hatten 90 Kurzdarstellungen aus dem Iran, aber wegen Problemen, Visa zu bekommen, waren weit weniger Forscher von dort vor Ort als erhofft. Im Iran wird eine äußerst qualifizierte Forschung betrieben.
Welche Erkenntnis sollten die Kunststoffverarbeiter im deutschsprachigen Raum aus Ihrer Sicht schon heute verinnerlichen, auch wenn die Umsetzung in den Alltag vielleicht noch Jahre dauern wird?
Zum einen waren für mich die Vorträge zum Additive Manufacturing ein wichtiges Highlight. Die generativen Fertigungsverfahren werden immer konkurrenzfähiger. Im Moment sind sie nur geeignet, einen Demonstrator herzustellen. Aber es ist sichtbar geworden, zum Beispiel im Plenarvortag von Dr. M. Schmidt, dass moderne selektive Lasertechnologien die Herstellzeiten deutlich verkürzen können und eine parallele Produktion mehrere Teile ermöglichen. Das wird den klassischen Spritzguss in hohen Stückzahlen nicht substituieren können, aber in Konkurrenz treten mit Gießtechnologien und anderen Verfahren zur Kleinserienproduktion. Natürlich bleibt da immer noch ein Unterschied zwischen den industriell tauglichen Verfahren und dem, was ein Privatmann daheim auf seinem 3D-Drucker herstellt. Zum anderen messe ich den Polymer Nanostructures und Nanocomposi-tes gute Chancen zu. Das ist zwar ein breites Feld, auf dem sich nicht nur für die klassische Kunststofftechnik, sondern auch für die Elektronik einiges an Potenzial abzeichnet: Schauen Sie sich Leiterplatten an. Wir haben zum Beispiel eine kontinuierlich extrudierbare Leiterplatte entwickelt – mit Polyetherimid (PEI) als Substrat für die Leiterplatte. Mit den zur Zeit in der Entwicklung befindlichen Tinten können Sie die Leiterplatte online mit leitfähigen Bahnen bedrucken. Da sparen Sie 18 Prozessschritte gegenüber den klassischen Leiterplatten. Mit dem neuen Konzept sind diese Substrate sogar multilayerfähig. Auch hier ist die Nanotechnologie ein wichtiger Schlüssel, weil zum Beispiel die Drucktinten für die Leiterbahnen Graphen enthalten.
Ihre überraschendste Erkenntnis der Konferenz?
Organisatorisch, dass es uns als in dieser Konferenzgröße unerfahrenem Institut mit eüiem sehr.motivierten Team gelungen ist, aus dem Stand eine so große, einwöchige internationale Tagung mit über 700 Teilnehmern aus dem Boden zu stampfen.
Inhaltlich beeindruckt hat mich der Beitrag von Professor Jingshen Wu von der Hongkong University of Science and Technology zum Potenzial von in Baustoffen integrierten, verkapselten latenten Wärmespeichermaterialien.
Die Idee und die Basistechnologie gibt es doch schon länger.
Ja, aber in China herrschen andere klimatische Verhältnisse als hier, es ist viel feuchter und die Bedingungen sind insgesamt anders als bei uns. Die intensive Beschäftigung dort kann der Anwendung von Materialien zur latenten Wärmespeicherung und ihrer Implementation in die Praxis einen ganz neuen Impact geben.
Herr Professor Altstädt, vielen Dank für Ihr Resümee.
www.pps-29.com
www.polymer-engineering.de
Die Fragen stellte K-PROFI-Chefredakteur Dipl.-Ing. Markus Lüling.
Quelle: K-PROFI, Ausgabe 9/2013, S. 12-14 (PDF, 311 KB)