Forscher bringen Automobilbau einen Schritt voran
Sechs Jahre Arbeit stecken in diesem Projekt, jetzt ist es reif für den industriellen Einsatz: Prof. Vasily Ploshikhin und sein Team haben im Kompetenzzentrum Neue Materialien ein Verfahren entwickelt, mit dem extrem fester Autostahl besser und billiger in Form gebracht wird. Das freut nicht nur die Hersteller. Das nutzt vor allem den Autofahrern: Dank der Bayreuther Entwicklung werden Autos künftig noch sicherer.
Ploshikhin weiß, wie er die Technologie, an die bis vor ein paar Jahren keiner geglaubt hat, erklären muss. „Ist ganz einfach“, lacht der Materialexperte. „Es funktioniert wie ein Bügeleisen: Wir bringen die Wärme direkt auf das Material und verformen es.“ Das ist ein komplett anderer Ansatz, als ihn Zulieferer von Automobilherstellern bei der Herstellung von Karosserieteilen bislang verfolgen. In deren Hallen stehen immer noch riesige, energiefressende und deshalb teure Öfen. In diesen Hitzemonstern werden Bauteilplatinen erhitzt und dann geformt.
Gegen diese Riesenöfen nimmt sich Ploshikhins Anlage im Technikum des Kompetenzzentrums wie ein Mini gegen einen Maybach aus. Doch mit diesem Mini fährt man besser, billiger, sicherer. Die Anlage der Bayreuther Forscher erwärmt den Autostahl nicht auf konventionellem Weg, sondern bringt ihn sehr gezielt und durch unmittelbaren Kontakt bei bis zu 950 Grad zum Glühen. Dieser Bügeleisen-Effekt hat gleich mehrere Vorteile. „Anders als bei konventionellem Erhitzen federt der Stahl beim Abkühlen nicht zurück, sondern behält exakt seine Form“, sagt Ploshikhin. Und: Bei diesen Temperaturen verändern sich die Eigenschaften des Materials. „Während des Prozesses wird der Stahl dreimal fester als er ursprünglich war. Damit verändern wir Form und Festigkeit während nur eines Verfahrens.“
Der eigentliche Clou aber liegt im Weglassen. Dass nur bestimmte Bereiche einer Bauteilplatine mit dem Bayreuther Bügeleisen erhitzt werden, ist ebenso gewollt wie die Tatsache, dass andere Bereiche eher kühl bleiben. Damit bekommt ein und dasselbe Bauteil verschiedene Eigenschaften anerzogen – die erst erhitzten, dann verformten Anteile sind extrem fest. Sie halten Unfällen stand und schützen die Menschen, die in diesem Auto sitzen. Die weniger stark erhitzten Anteile sind weicher, und auch das ist so gewollt. „Sie nehmen bei einem Unfall Energie auf“, sagt Ploshikhin. Ein weiteres Sicherheitsplus.
Daimler und Audi waren in den vergangenen Jahren sehr nah dran an den spannenden Bayreuther Entwicklungen. Die Automobilhersteller interessieren sich dabei nicht nur für günstigere Teileproduktion und mehr Sicherheit. Sie stehen auch vor der Aufgabe, künftig den Kohlendioxidausstoß ihrer Flotten den EU-Grenzwerten anzupassen. Das funktioniert vor allem über Leichtbau und in dersammenhang: Je fester das Material, desto weniger davon ist notwendig, desto leichter wird auch das Auto. Der neue Golf, sagt Ploshikhin, hat auf diese Weise im Vergleich zu seinem Vorgänger um 43 Kilo abgespeckt. Und auch andere Hersteller sind inzwischen vom Kurs aufs immer größere, immer schwerere Auto abgebogen. „Die Masse der Autos wird in Zukunft zumindest nicht mehr größer“, sagt Ploshikhin. Und meint damit das Gewicht, nicht die Anzahl der Fahrzeuge. Dass der weltweite Automarkt schwächeln könnte, davon ist zumindest angesichts des prognostizierten Bedarfs an hochfesten Bauteilen nichts festzustellen. 350 Millionen Teile wurden im vergangenen Jahr verbaut. Heuer könnte der Bedarf auf über 500 Millionen steigen.
Gute Aussichten also für die Bügeleisenmethode aus Bayreuth. „Die Technologie funktioniert, sie ist reproduzierbar und hat ihre Einsetz-barkeit in der Serienfertigung unter Beweis gestellt.“ Das hat Ploshikhin in diesen Tagen auch gut 60 Managern aus Industriebetrieben beim Abschlussworkshop des Projektes mit dem sperrigen Namen „Flexible Wärmebehandlung zum ofenfreien Warmumformen hochfester Stähle“ gesagt. Die Forscher haben ihren Auftrag also erfüllt. Jetzt sind die Unternehmer dran.
Quelle: Nordbayerischer Kurier vom 11.03.2013 (PDF, 366 KB)